Kazuo Katase

Helle Kammer (2012)

Lichtskulptur auf dem Rohrmeisterei-Plateau in Schwerte

Seit dem 19.10.2012 ist auf dem Rohrmeisterei-Plateau die Lichtskulptur „Helle Kammer“ von Kazuo Katase zu sehen. Es handelt sich um einen Raum-Körper, der durch gitterähnliche Wände definiert ist. Mit den Außenmaßen 4 x 4 x 3 Meter kann man ihn auf den ersten Blick für einen Quader halten, seine Bestimmung im Bereich „Technik“ vermuten. Form und Gestaltung entsprechen einem minimalistischen Prinzip.

Tatsächlich sind zwei sich gegenüber liegende Seiten aber keine Rechtecke, sondern Parallelogramme. Die Außenkanten des Körpers weichen an den Ecken um 5° vom rechten Winkel ab, sodass sich die Körperform „Parallelepipet“ oder „Spat“ ergibt.

Das Maß der Abweichung vom rechten Winkel ist zurückzuführen auf die geologische Struktur des Ruhrgebiets. Von der Ruhr aus sinken nach Norden die Gesteinsschichtungen um 5° bis zu einer Tiefe von 3 km ab. Die Skulptur, die sich gleichzeitig auch der Stadt „zuneigt“ (der „schiefe Turm“ der St. Viktor-Kirche ist ebenfalls vom Standort aus zu sehen!), ist damit sehr spezifisch an genau dieser Stelle in Schwerte verortet, verweist aber darüber hinaus auf die Region und das gesamte Ruhrgebiet.

Der Werktitel „Helle Kammer“ ergibt sich nicht allein aus der weißen Lackierung des eloxierten Aluminiums, aus dem der Skulpturenkörper besteht; die Skulptur wird dadurch jedoch zu einem visuellen Gradmesser für unterschiedliche Tageshelligkeiten. Der Werktitel bezieht sich aber insbesondere auf den Inhalt des Gitterkörpers: Licht und Dunkel. Beide werden als immateriell wahrgenommen, wenngleich sie ohne einen Gegenstand (Materie) für das menschliche Auge gar nicht wahrnehmbar wären.

Die Licht-Skulptur „Helle Kammer“ in der Abenddämmerung
Foto: Werner J. Hannappel
Skizze zur Lichtskulptur „Helle Kammer“ von Kazuo Katase

Mit dem Werktitel nimmt Katase zudem sehr konkret Bezug auf den Essay „Die helle Kammer“ des französischen Philosophen Roland Bartes, mit dem dieser die (damals noch analoge) Fotografie auf eine neue theoretische Grundlage zu stellen versucht. „Helle Kammer“ kann hier auch als Gegensatz zur „Dunkelkammer“ der analogen Fotografie gelesen werden, dem Ort, aus dem das Negativ zum Positivbild sich wandelt.

Bei Einbruch der Dunkelheit zeigt die Skulptur deutlich ihr Paradoxon: Sie erweist sich als zweigeteilt, wobei der eine Teil von innen leuchtet, der andere aber dunkel erscheint. Gleichzeitig strahlt das Licht aus dem hellen Teil in den dunklen, sodass ein ständiger Prozess der Anbindung in Gang gesetzt und statt des Gegensatzes von Licht und Dunkel deren Zusammengehörigkeit ins Bild gesetzt wird.

Es erfolgt damit in Katases Sinn ein Brückenschlag zwischen den Kulturen: Hier die westliche mit ihrem Ja-Nein-Prinzip, der Trennung von Licht und Dunkel (vgl. Buch Genesis, Kap. 1) und der damit verbundenen Wertung von Gut und Böse; auf der anderen Seite die östliche, basierend auf dem Zen-Buddhismus, mit dem sich der Künstler intensiv auseinandergesetzt und die Grundlagen für eine enharmonische Existenz der Gegensätze gefunden hat.

Die Skulptur fordert somit vom Betrachter Abstand zu seiner hektischen Alltags- Betriebsamkeit, damit er in die Lage versetzt wird, die ruhige Botschaft der Skulptur vom Lärm der Gegenstände seiner Umgebung zu unterscheiden.

Wenn der Prozess der Durchdringung des Schattens vom Licht es ermöglicht, das Dunkel auch als „Helligkeit mit niedrigerem Messwert“ zu verstehen, dann lässt die Helle Kammer auch die (quasi politische) Hoffnung zu, dass „jeder im Grunde im andern einen vagen Umriss seiner selbst“ 1) erkennt. 1) Jan-Luc Nancy: Am Grund der Bilder, Zürich-Berlin 2006

Wenn man sich der Skulptur nähert, offenbart sie die in ihr angelegten tieferen Gedanken zunächst nicht. Sie zieht den aufmerksamen Blick auf sich, weil die Wahrnehmung die verschiedenen Phänomene der visuellen Erscheinung nicht gleich erfassen kann. Bei Tage scheint die Skulptur zu schwanken, bei Dunkelheit entwickelt sich noch deutlicher als am Tage ein starker Moiré-Effekt. Die Veränderungen ergeben sich buchstäblich mit jedem Schritt, wie die folgenden Fotos deutlich machen.

Künstlerischen Intentionen (allgemein)

“Meine Existenz lässt Licht und Schatten tanzen.”
“Mit den Augen denken.”

Es sind im Wesentlichen zwei Dinge, die die Kunst von Kazuo Katase prägen: Zum einen die fast abgeklärte Ruhe des Zen-Buddhismus als Gegensatz zu der überwiegend rein rational bestimmten westlichen Welt, zum andern der unvoreingenommene Blick auf die Welt, mit dem er neue und ungewöhnliche Sehweisen auf die längst zur Selbstverständlichkeit gewordenen Erscheinungen unserer Welt ermöglicht und eröffnet. Es ist nicht verwunderlich, dass, wer die Welt in einem anderen Licht sieht und sehen lassen will, sich auch des Lichts als quasi eines künstlerischen Werkstoffs bedient. In welchem Medium Kazuo Katase auch arbeitet – Installation, Skulptur, Malerei, Fotografie, Architektur –, das den Blick auf die Welt verändernde Licht spielt in den allermeisten Fällen eine zentrale Rolle. Der Blick erweist sich in allen Arbeiten als äußerst konzentriert. Es wird in fast minimalistischen Formen eine poetische Ruhe deutlich, ohne dass die rationale Bestimmtheit der westlichen Welt dabei aus dem Blickfeld geriete. Die Art aber, wie sich diese Welt in den Arbeiten spiegelt, lässt die damit verbundenen Probleme und Belastungen sehr klar, wenn auch wie ein Rufen aus der Ferne erscheinen.

Lebensdaten

1947 in Shizuoka, Japan, geboren.
1973 erste Einzelausstellung in Japan: Tamura Gallery, Tokio. 1975 erste Einzelausstellung in Deutschland
1976 Übersiedlung nach Deutschland mit Wohnsitz in Kassel
1986 Das Museum van Hedendaagse Kunst in Gent zeigt die legendäre Ausstellung „chambres d’ amis“; Kazuo Katase ist in der Orbanlaan 131 mit einer Rauminstallation beteiligt; Bezugspunkt ist das Gemälde „Kreuztagung“ von Hieronymus Bosch aus dem Genter Museum voor Schone Kunsten.
1987 Furka-Pass: Furkart ‘87
1991 Eclipse of the Earth, The New Museum of Contemporary Art New York, USA
1992 Teilnahme an der documenta 9 in Kassel
1999 Ausstellung „OrtRaum Sommernacht“ im Kunstverein Schwerte
2005 Auf Zollverein in Essen sind Modelle zum Folkwang Atoll zu sehen, die Realisierung erfolgt im Jahr 2010 im Rahmen der Kulturhauptstadt Ruhr
2008 Ausstellung im Zentrum für Internationale Lichtkunst, Unna
2012 Das Museum Quadrat in Bottrop zeigt mit der Ausstellung „Malerei“ den Künstler Kazuo Katase von einer bis dahin nahezu unbekannten Seite
2014 „Neighborhoods“, Ausstellung im Museum of Modern Art, Tokushima, Japan 2018 erscheint in Zusammenarbeit mit dem Museum Wiesbaden das Buch „Katazuke – Autobiografische Formung“
Kazuo Katase lebt und arbeitet in Kassel.

Arbeiten im öffentlichen Raum
1987 Furka-Pass: Trink eine Tasse Tee
1994 Freiburg i. Br.: Tous, Universitätsklinikum 1998 Ludwigshafen: Ring des Seyns
2001 Lyon im Jardin Public Aval: Annähern 2003 Kassel: Blue Dancer
2007 Lünen: Flusswächter
2010 Bottrop: Lichtfossil, dreiteilige Licht-Skulptur
Ruhr-Atoll Baldeneysee, Essen, im Programm der Kulturhauptstadt Ruhr.2010
2012 Schwerte, Rohrmeisterei-Plateau: Helle Kammer

Foto: Manuela Schwerte, WAZ vom 26.07.2012
„Schlafendes Haus“ im Kunstverein Schwerte 1999